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Archivdirektor Steinwascher referiert vor den Gästen des Heimatvereins

Die Vorstellung, dass alle Menschen „im Prinzip“ gleich sind, auch wenn wir tagtäglich in der Politik, der Wirtschaft, dem Sport usw. praktisch das Gegenteil erleben, gehört zu den wenig hinterfragten Selbstverständlichkeiten unserer „modernen“ Gesellschaft. Bis vor rund 200 Jahren vertrat aber der Adel den Anspruch, dass seine Herrschaft durch die besondere Qualität der Familien, aus denen er sich rekrutierte, gerechtfertigt sei. Und wenn es einer solchen Familie gelang, auch noch innerhalb des Adels über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte eine herausragende Rolle einzunehmen, dann bildete sie eine „Dynastie“. Zu den zu Unrecht weniger bekannten Dynastien gehörten die „Oldenburger“, wie Prof. Dr. Steinwascher, Leiter des Staatsarchivs in Oldenburg, in seinem Vortrag faktenreich vor den Gästen des Vareler Heimatvereins ausführte. Schon sein Thema machte das deutlich: „Von Oldenburg nach Kopenhagen und St. Petersburg – Die europäische Dimension der Dynastie Oldenburg“. Allerdings ist es unmöglich, die Geschichte der Oldenburger Dynastie in einer guten Stunde zu referieren. Das gilt noch mehr für den Versuch, den an Details reichen, sehr kompakten Vortrag von Dr. Steinwascher hier zusammenzufassen: Mehr als die Wiedergabe einiger Schlaglichter ist nicht möglich.

Gegen Ende des 11. Jahrhunderts konsolidierte sich im Raum westlich der Weser zwischen dem friesischen Rüstringen und dem Osnabrücker Land ein sächsisches Grafengeschlecht. Es verstand – auch gewaltsam – seinen Herrschaftsanspruch gegen die Stadt und das Erzbistum Bremen, gegen gleichrangige Konkurrenten, gegen den niederen Adel und die Bauern durchzusetzen. Seine Stammsitz bildete die „Aldenborch“. Von den Einzelheiten zu Anfang dieses Prozesses wissen wir wenig. Damit die Herrschaft als Herrschaft einer Familie wahrgenommen werden konnte, mussten Kinder geboren werden – und überleben. Die Oldenburger waren auch darin erfolgreich, besonders Dietrich „der Glückliche“, der in seiner zweiten Ehe mit Heilwig, der Schwester des Grafen von Holstein, drei Söhne zeugte, von denen der älteste, Christian, 1448 durch die Unterstützung seines kinderlosen holsteinischen Onkels König von Dänemark wurde. Mit dieser Aufwertung wurden die Oldenburger attraktiv für den europäischen Heiratsmarkt, waren von nun an aber auch in die Auseinandersetzungen vor allem des dänischen und schwedischen, später des russischen Adels um die Vorherrschaft im Ostseeraum verwickelt.

Keine Kinder zu bekommen, bedeutete das Aussterben der Familie, zu viele überlebende zu haben, war aber ebenfalls ein Problem, mussten sie doch standesgemäß versorgt werden. Immer wieder wurden Territorien nach dem absehbaren Ertrag für die Nachkommen zerstückelt, regelmäßig gab es Streit über die „gerechte“ Aufteilung des Erbes. Für Varel bedeutsam war, dass Graf Anton Günther zwar 1633 einen unehehlichen Sohn Anton mit Elisabeth von Ungnad zeugte, dann aber doch lieber eine enge Verwandte, Sophie Katharina von SchleswigHolstein-Sonderburg, heiratete. Allerdings blieb diese Ehe kinderlos, die Grafschaft Oldenburg fiel absehbar mit dem Tode Anton Günthers 1667 an Dänemark. Der Graf konnte nur mit viel finanziellem und juristischem Aufwand seinen illegitimen Sohn zum Reichsgrafen „von Aldenburg“ aufwerten, das Amt Varel, Kniphausen, die Vogtei Jade und Teile des Weserzolls aus dem Erbe herausnehmen und ihm testamentarisch übertragen. Dass diese Abtrennung den Dänen nicht gefiel und Varel weiterhin in den Konflikt zwischen Dänemark und Schweden eingebunden blieb, zeigt die Gründung der dänischen Festung „Christiansburg“ 1681 am Vareler Hafen. Sie sollte dabei helfen, die dänischen Besitzungen in Oldenburg gegen die mächtigen Schweden östlich der Weser zu schützen.

Das Oldenburger Könighaus in Dänemark erbte Ende des 15. Jahrhunderts Schleswig und Holstein. Wie sonst auch, wurden diese Territorien als Erbmasse unter mehreren Linien aufgeteilt und nach den Zufällen der Geburt und der machtpolitischen Gelegenheit wieder zusammengefügt. Wichtig für die europäische Geschichte wurde das Haus Gottorf, vor allem, weil es im 18. Jahrhundert Könige in Schweden und Zaren in Russland stellte. Der erste Oldenburger Zar war Peter III., den seine mit – ihm verwandte – Frau, Sophie Friederike von Anhalt-Zerbst, die spätere Katharina „die Große“, im Rahmen der Machtkämpfe am Zarenhof 1762 umbringen ließ. „Adel“ bedeutet nicht automatisch „edel“, Verwandtschaft konnte sogar gefährlich sein, wenn sie mit konkurrierenden Ansprüchen einherging.

Dass die Oldenburger auch Könige in Griechenland stellten und bis heute zu den Vorfahren der Häuser in Kopenhagen und Oslo gehören, sei wenigstens angemerkt. Aber die Fürsten und Könige spielen in den letzten 200 Jahren immer mehr die Rollen, die andere ihnen geschrieben haben. Bestenfalls bilden sie die Spitze einer Hierarchie neben anderen – und wenn es die in der Regenbogenpresse ist.

Wer mehr und Genaueres wissen möchte, der greife zu dem bei Kohlhammer 2011 erschienenen, faktenreichen und dennoch gut lesbaren Buch unseres Referenten Steinwascher über „Die Oldenburger“!

Rainer Urban