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GOE: Gänzlich Ohne Eile?

Zur Geschichte der Großherzoglich Oldenburgischen Eisenbahn

Varel liegt an einer Bahnlinie, die seit Jahren aufwendig für den Güterverkehr rund um den Jade-Weser-Port modernisiert wird. Die Stadt besitzt einen Bahnhof, an dem noch Züge halten und abfahren, und eine Bahnhofsbrücke, deren Sanierung schon lange die Öffentlichkeit, die Deutsche Bahn und den Denkmalschutz beschäftigt. Es gibt also Gründe genug, dass der Heimatverein einen fachkundigen Referenten einlud, der über die Geschichte der Eisenbahn berichten konnte. Florian Reiß hatte im letzten Jahr den Cloppenburger Teil der Jubiläums-Ausstellung „Höchste Eisenbahn – 150 Jahre Zugverkehr in Oldenburg“ betreut und den gleichnamigen Katalog mit herausgegeben.

Die Eisenbahn, das ist die „Industrialisierung des Transports“. W. Schivelbusch hat gezeigt, wie sehr dieses Transportmittel die menschliche Wahrnehmung des Raums veränderte und die Angleichung der abweichenden Ortszeiten erzwang. Bei der Eisenbahn handelt es sich um eine Technik, die in England zu Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelt wurde und sich von dort aus über Europa verbreitete. Schon 1833 entwarf der Nationalökonom Friedrich List den Plan für ein Eisenbahnnetz, mit dem er die deutsche Kleinstaaterei überwinden wollte – und es gab Länder wie Sachsen, die seine Ideen aufgriffen und „zügig“ umsetzten. Solche Pläne entstanden auch in Oldenburg, insbesondere seit Preußen nach 1854 einen Kriegshafen an der Jade aus dem Boden stampfen wollte. Dass es dann noch zehn Jahre dauerte, bis der Bau der ersten Bahnlinie im Großherzogtum durch Verträge verbindlich beschlossen werden konnte, lag in der Konkurrenz und den daraus folgenden Spannungen Oldenburgs mit dem Königreich Hannover und der Stadt Bremen begründet. Doch schon 1867, nur zwei Jahre nach Baubeginn, konnten die Strecken von Oldenburg nach Bremen und nach Heppens in Betrieb genommen werden. Sehr schnell wurde jetzt das Oldenburger Schienennetz geknüpft und durch „Nebenbahnen“ ausgeweitet, weil mit der Eisenbahn die Transportkosten dramatisch fielen und damit völlig neue Märkte erschlossen werden konnten. Florian Reiß führte als Beispiele den Fischhandel an, der „Nordsee“-Produkte von Nordenham bis in die Restaurants nach Wien lieferte, den Bockhorner Klinker, aus dem nicht nur der Oldenburger Bahnhof, sondern auch das Chile-Haus in Hamburg gebaut wurde, die Schreinerei Müller in Neuenburg, die die hier gefertigten Möbel in ganz Deutschland verkaufte, oder die Schweinezucht, die selbst den Südoldenburger Heuerlingen erlaubte, ihre Küchenabfälle zu Geld zu machen. Für Varel allerdings, so Am Vareler Bahnhof Bild: Heimatverein 2 kann man bei A. Jürgens in seiner „Wirtschafts- und Verwaltungsgeschichte“ nachlesen, beschleunigte der Eisenbahnbau und seine Ausrichtung auf die Stadt Oldenburg die Entwertung des Vareler Hafens und den Untergang vieler seiner Industriebetriebe.

Die Bahnhöfe, meist in der Peripherie der Städte und Dörfer gelegen, wurden zu neuen Zentren mit Viehwaage, Post und Gaststätte. Es gab für ihren Bau ein Grundschema, das je nach den Bedürfnissen vor Ort variiert werden konnte. Eine „Bahnhofsstraße“ stellte die Verbindung zu den alten Ortsmittelpunkten her. Die GOE, die „Großherzogliche Oldenburgische Eisenbahn“, verballhornt: „Gänzlich Ohne Eile“, ließ für ihre Bedürfnisse sogar eigene Lokomotiven entwickeln, die anfangs mit Torf betrieben wurden und deshalb besonders feuergefährlich waren. Ihre einziges heute noch erhaltenes Dampfross, die 1866 gebaute „Landwührden“, kann im Deutschen Museum in München besichtigt werden. Und dann gibt es ja noch die Schmalspurbahn auf der Oldenburgischen Insel Wangerooge, die bezeugt, dass mit der Eisenbahn auch der Tourismus gefördert wurde und die meisten Menschen wohl ihre Angst vor der Beförderung als „Paket“ verloren hatten.

Nach dem I. Weltkrieg wurden die Länderbahnen durch die Reichsbahn übernommen und fast alles, was an Gerät nur regional von Bedeutung war, verschrottet. Die Bahn geriet nun mehr und mehr in Konkurrenz zu den Straßen mit ihren Autos; nur die wenigsten wissen, dass die von ihr erzielten Gewinne von den Nationalsozialisten auch zur Förderung des Autobahnbaus verwendet wurden. Bekannter ist hingegen, wie sie den industrialisierten Transport zu Kriegszwecken nutzten und Sonderzüge zu den Konzentrationslagern fuhren. Nach dem II. Weltkrieg verschärfte sich der Wettbewerb mit der Straße spätestens durch den Autoboom in den 1950er Jahren; rentabel blieben nur noch die Hauptstrecken. Nebenlinien wurden stillgelegt, Bahnhöfe abgerissen oder verkauft und neuen Zwecken zugeführt. Doch das alles wäre ein eigenes großes Thema.

Im Anschluss an den Vortrag fragten die Zuhörer vor allem nach Schwierigkeiten bei dem Ausbau der Schienenwege in den ersten Jahren nach 1865. Referent Reiß skizzierte, dass es große Probleme bei der Anwerbung von Ingenieuren, mit Wanderarbeitern oder bei Streitigkeiten mit der ortsansässigen Bevölkerung über Enteignungen, natürlich auch mit der regional sehr unterschiedlichen Bodenbeschaffenheit gab. Trotzdem wurden die Bahnstrecken, die ja erhebliche Eingriffe in die Landschaft erzwangen, mit sehr viel einfacherem Gerät als heute unglaublich schnell fertiggestellt. Hier wäre noch manches zu fragen gewesen, doch einiges davon beantwortet auch der ausgezeichnete Katalog. Das Publikum bedankte sich mit Applaus.

Rainer Urban